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Diskussion

Gendern in der Sprache: So sehen das Pflegende

Gendern ja oder nein? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Wir haben uns in der Pflegebranche umgehört.

Binnen-I und Gendersternchen: In Deutschland wird kontrovers über das Gendern diskutiert. Wir haben ein paar Stimmen aus der Profession Pflege zusammengetragen und beziehen auch selbst als Redaktion Stellung zum Thema.

Pro

Elvira Clemens, Wiesbaden

Als Germanistin und angehende Pflegefachfrau staune ich immer wieder, wie sehr man belächelt wird, wenn man am Arbeitsplatz gendert – also wenn ich auf der Station von „Ärzt:innen“ oder „Ärztinnen und Ärzten“ spreche.

Als Germanistin ist Sprache für mich ganz klar ein politisches Instrument, mit welchem ich die Realität konstruiere. Das heißt: Je nachdem, wie ich spreche – also was für Wörter ich verwende –, schaffe ich mein Konstrukt der Realität. Ich spreche nicht nur, sondern gebe meine Wertvorstellungen wider. Denn man kann nicht nicht kommunizieren.

Ich gebe also frei nach Schulz von Thun immer etwas meiner Persönlichkeit mit meiner Kommunikation mit und erschaffe damit eine Struktur und eine Gesellschaft. Wenn ich also in meiner Sprache das generische Maskulinum verwende, dann reproduziere ich patriarchale Strukturen, die ich als weiblich gelesene Person selbstverständlich ablehne.

Ich positioniere mich aktiv gegen misogyne Machtstrukturen.

Im pflegerischen Umfeld ist das Gendern besonders wichtig. Denn es ist eine Berufsgruppe, die von Frauen dominiert wird. Ich möchte eine Sprache, die dies widerspiegelt.

Ich bin kein Patient. Ich bin kein Pfleger. Ich bin kein Schüler. Ich bin weder ein Mann noch möchte ich als solcher gelesen werden. Ich möchte eine Sprache, die mich inkludiert.

Wieso auch nicht? Denn ich gehöre keiner Minderheit an. Tatsächlich machen Frauen ja 51 Prozent der Bevölkerung aus, sie stellen damit sogar die Mehrheit. Warum soll unsere Sprache also männlich dominiert sein? Natürlich finden Männer das gut. Aber wir haben 2024 und ich finde, die Zeit männlich dominierter Strukturen ist vorbei. Deshalb liebe ich das Gendern und je mehr ich gendere, desto mehr lassen sich von der Sinnhaftigkeit überzeugen.

Deshalb: Lasst uns alle mitmachen, damit alle dazugehören können – und nicht nur Männer. Vor allem als Pflegende, die überwiegend weiblich sind, sollten wir uns unser Stück vom Kuchen und von der Sprache holen. Denn so können wir neue Strukturen erschaffen und Einfluss auf das politische Geschehen nehmen.

Daniela Hiebl, Salzburg

Ich möchte aus meinem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden heraus die gendersensible Sprach- und Schreibweise anwenden. Ich will, dass alle Menschen sich genannt fühlen können, wenn ich spreche oder etwas zu Papier bringe. Personen, die sich ihres eigenen Geschlechts unsicher sind, sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen als sie optisch wahrgenommen werden oder zwischen den Geschlechtern stehen und generell Frauen, die durch die bisher übliche Art und Weise unseres Sprachgebrauchs unzureichend wahrgenommen und mitgedacht werden, sind meiner Meinung nach vulnerable Personen, die in einer sozialen Gesellschaft besonderen Schutz genießen sollten, wie Kinder und ältere Menschen sowie anderweitig in ihrem Alltag eingeschränkte Personen auch. Wer nicht mitgesprochen wird, an die Person wird auch nicht gedacht.

Wenn unsere Sprache in der Hauptausrichtung rein maskulin bleibt, kann und wird sich daher eine wirkliche Gerechtigkeit nicht einfinden. Aus diesem Grund möchte ich persönlich meine Sprech- und Schreibweise soweit als möglich so gestalten, dass sich eben alle angesprochen fühlen können.

Mich stört, dass in der Öffentlichkeit rein oder fast rein weiblich dominierte Berufe in ihrer Bezeichnung künstlich maskulinisiert werden (Erzieher, Kinderpfleger, Verkäufer, jeweils Frauenanteile über 80 Prozent, teilweise sogar über 90 Prozent), oder unsere eigene Berufsgruppe, die einen hohen Anteil von etwa fünf bis sieben Prozent LGBTQ-zugehörigen Personen aufweist, lediglich als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann zu bezeichnen. Ich empfinde dies als ungerecht. Gerade unsere Profession Pflege steht für Vielfalt und unser Ethik-Kodex entspricht dieser in vollem Umfang.

Ich werde auf das Anwenden eines gendersensiblen Sprachumganges nicht verzichten und ich lasse mir diesen auch nicht verbieten.

Ich habe 25 Jahre praktische Erfahrung in verschiedenen Krankenhäusern in Deutschland, habe in fast allen pflegerischen Settings und Fachrichtungen gearbeitet und arbeite mittlerweile in Österreich, wo ich Gesundheits- und Krankenpfleger*innen während ihres Studiums in der Basispflege ausbilde. Im privaten Bereich bin ich weiterhin aktive Gesundheits- und Krankenpflegerin. Im Umgang mit meinen Patient*innen hatte und habe ich übrigens keinerlei Schwierigkeiten in der Verständigung, da zu einer professionellen pflegerischen Vorgehensweise meiner Meinung nach ohnehin initial die Erfassung der von den Patient*innen gewünschten Geschlechtsidentität gehört. Im weiteren Umgang bediene ich mich auch nicht der für Professionen im Gesundheitssektor üblichen Fachtermini, sondern ich versuche immer, den Patient*innen auf Augenhöhe zu begegnen, sie abzuholen, wo sie sich in ihren Bedarfen gerade befinden und partnerschaftlich zusammen mit ihnen und ihren Angehörigen ihre Pflege zu gestalten.

Contra

Mario Lutz

Die deutsche Sprache wird durch das Gendern immer unverständlicher. Gerade für pflegebedürftige Menschen ist das ein sehr großes Problem; sie finden keinen rechten Zugang mehr zu uns Pflegenden, da ihnen die gewohnte Sprache weggenommen wird, und lesbar ist ein sogenannter gendergerechter Text auch fast nicht mehr. Die überwiegende Mehrheit der Pflegenden – und generell der Menschen in Deutschland – lehnt das Gendern ab und es ist undemokratisch, den Willen der Mehrheit nicht zu akzeptieren.

Und im Hinblick auf die neuen gendergerechten Berufsbezeichnungen, stelle ich fest: Meine Berufsbezeichnung lautet Krankenpfleger für Innere Medizin und Intensivmedizin und das soll auch so bleiben. Gendergerechte Sprache ist meiner Meinung nach rücksichtslos und intolerant gegenüber vielen Menschen, gerade der älteren Generation, die diese nicht will und nicht versteht!

Kay Hattwig, Cremlingen

Als Englisch- und DaF-Dozent für verschiedene Pflegefachschulen möchte ich fragen, weshalb ich auf BibliomedPflege Wörter wie „Pflegende“ und Begriffe wie „Kolleginnen und Kollegen“ beziehungsweise vermeintlich neutrale Wortkreationen wie „Pflegeperson“ – statt korrekt: Pfleger – lesen muss.

Die Gendersprache ist nicht nur in all ihren Formen – Schüler*innen, Bürgerinnen und Bürger, Mitarbeitende – grammatikalisch falsch, sondern wird in der Gesellschaft mehrheitlich abgelehnt, sodass es keine demokratische Legitimation dafür gibt. Ich selbst kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass weniger als zehn Prozent der Auszubildenden in der Pflegebranche gendern. Sehr bedenklich ist dagegen, dass die Dozenten der Branche zum Teil per Dienstanordnung und gegen ihren Willen verpflichtet werden, diese Kunstsprache zu verwenden. Weshalb gendern Sie, warum gehen Sie nicht mit gutem Beispiel voran und unterlassen das?

Kirsten Mühlenkamp, Römerberg (Rheinland-Pfalz)

Meinen herzlichen Dank an Herrn Lutz und Herrn Hattwig für ihre Positionen, die mir aus der Seele sprechen. Gegenderte Artikel sind genau aus den Gründen derart abschreckend, dass ich sie häufig gar nicht mehr lese. Die künstlich konstruierte Sprache macht es schlicht unerträglich. Ich bin Fachkrankenschwester und froh, mich noch als solche bezeichnen zu dürfen.

Ich habe mich in den 56 Jahren meines Lebens nie durch die Verwendung des generischen Maskulinums in Bezug auf die Rollen, die man so im Leben hat – Schüler, Bürger, Wanderer, Fahrradfahrer, Musiker, Besucher und so weiter –, ausgeschlossen gefühlt und verstehe auch nicht, warum versucht wird, uns dies einzureden.

Intolerant ist die Verwendung dieser Kunstsprache übrigens nicht nur gegenüber der älteren Generation – auch für Zuwanderer dürfte sie sich schwer erschließen. Und in der Tat wird sie allen Umfragen zufolge vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt.

Position der Redaktion

Das Thema Gendern wird innerhalb unserer Redaktion kontrovers diskutiert. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir in unseren Texten niemanden ausschließen wollen. Unser Ziel ist eine Sprache, die inklusiv ist, mit der Zeit geht, zugleich aber lesbar bleibt und nicht ideologisch oder moralisierend wirkt.

Die alleinige Nutzung des generischen Maskulinums wird diesem Anspruch nicht gerecht. Zudem erhalten wir Rückmeldungen unserer Leserinnen und Leser sowie Autorinnen und Autoren, denen eine gendergerechte Sprache wichtig ist. Daher verpflichten wir uns in der Redaktion zu einem anderen Umgang mit Sprache, etwa indem wir möglichst eine geschlechtsneutrale Variante wählen. Ansonsten nennen wir sowohl die männliche als auch weibliche Form – allerdings nur so häufig, dass die Lesbarkeit darunter nicht leidet. Auf Genderzeichen verzichten wir überall, wo unsere Redaktion der Absender ist: in Meldungen, Kommentaren oder Artikeln. Unseren nichtjournalistischen Autorinnen und Autoren ist es freigestellt, zu gendern, wenn sie Wert darauf legen. Dies gilt auch für die Verschriftlichung des gesprochenen Worts in Interviews oder Zitaten. Wir wählen in diesen Fällen den Doppelpunkt, da er sich am besten in das Schriftbild einfügt.

Für uns ist die Diskussion um die geschlechtergerechte Sprache nicht abgeschlossen, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Wir tauschen uns im Redaktionsteam regelmäßig dazu aus, teilen unsere Erfahrungen und suchen gemeinsam nach neuen Wegen.

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